War es bis her so, dass wir Seuchen und Epidemien nur aus längst vergangenen Geschichtsepochen oder im Zusammenhang mit Krieg und Elend kannten, hat die COVID 19-Pandemie unsere Wohlstandsgesellschaft in ihrer ganzen Verletzlichkeit offenbart. So unsichtbar wie allgegenwärtig bedroht der Virus unsere Lebenssituation, beherrscht die Medien und die Alltagssorgen der Menschen. Die Plötzlichkeit und schnelle Verbreitung der Virus und die Gefährdung für Leben und Tod hat uns Menschen wie in einen Schockzustand versetzt, ausgeliefert an einen gesichtslosen Feind, auf den wir nur mit Angst und Ungläubigkeit reagieren konnten.
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Sich vor dem Virus zu schützen heißt: Situationen meiden, in denen man mit dem Virus in Berührung kommen könnte. Alle Hygieneregeln, alle Schutzmaßnahmen zielen auf Kontaktvermeidung, Abstand halten und Vermeidung körperlicher Berührung. Ausgrenzung, künstliche Distanzierungen, Unterlassen klassischer Begrüßungsformen und die Nase und Mund bedeckende Masken. Diese Maßnahmen als Selbst und Fremdschutz schienen sinnvoll und notwendig, wurden aber nur zögerlich wahrgenommen. So vernünftig und unausweichlich die Gebote und Verbote, die Wissenschaft, Medizin und Politik ausgesprochen haben, so haben sie doch die Basis menschlichen Zusammenlebens in Frage gestellt. Nähe als Trost und Unterstützung wurde zur Quelle von lebensbedrohlicher Gefahr. Das unterschiedliche Gesundheitsrisiko der Generationen führt eher zur Abschottung. Als gelte die Gefahr nur für die Alten, und die Jungen feiern Corona-Parties. Die von dem Gesundheitssystem und der Politik empfohlenen und angeordneten Mobilitätseinschränkungen haben tiefsitzende Ängste um den Verlust politischer Grundrechte heraufbeschworen, die nie in Frage gestellt waren. Die Wellen der Pandemie haben sehr deutlich gezeigt, dass mit dem Heraufkommen der ersten Verbreitungswelle des Virus und des daraufhin eingeleiteten Lockdowns die meisten Menschen verunsichert wurden und das gesellschaftliche Leben zum Stillstand gebracht haben. Beobachtbar war das an dem ungewöhnlich geringen Verkehrsaufkommen. Die Straßen waren leer, und die Menschen hatten Zeit und wanderten in Parks und Wäldern. Mit der zweiten Welle regten sich in einem größeren Bevölkerungsteil kämpferische Impulse und kritische Anfragen an den Sinn der Maßnahmen. Ebenso wuchs die Bereitschaft, hinter den unumgänglichen Coronaregelungen fremde Machtansprüche und Verschwörungstendenzen zu vermuten. Das renitente Verhalten und das unvernünftige „Quer-Denken“ ist nur als Angstabwehr verstehbar. Die Irritation und der Unglaube, mit der die Bevölkerung auf die Seuche reagiert, beschreibt Albert Camus brillant in seinem Roman „Die Pest“: „Wenn ein Krieg ausbricht, sagen die Leute: „Das wird nicht lange dauern, das ist doch zu dumm.“ Und zweifellos ist ein Krieg mit Sicherheit zu dumm, aber er dauert trotzdem lange. Dummheit ist immer beharrlich, wenn man nicht immer an sich selbst dächte, würde man das merken. In dieser Hinsicht waren unsere Mitbürger wie jedermann, sie dachten an sich selbst, anders gesagt, sie waren Humanisten: Sie glaubten nicht an Plagen. Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten, daher sagt man sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird. Aber er geht nicht immer vorüber, und von einem bösen Traum zum nächsten sterben Menschen, und die Humanisten zuerst, weil sie sich nicht vorgesehen haben. Unsere Mitbürger waren nicht schuldiger als andere, sie vergaßen einfach nur, bescheiden zu sein, und sie dachten, alles sei für sie möglich, was voraussetzt, dass Plagen unmöglich sind. Sie machten weiter Geschäfte, sie bereiteten Reisen vor, und sie hatten Meinungen. Wie hätten sie an die Pest denken sollen, die Zukunft, Ortsveränderungen und Diskussionen aufhebt? Sie hielten sich für frei, und niemand wird je frei sein, solange es Plagen gibt.“ Beide Reaktionsformen, die der ersten Welle wie der zweiten deuten auf psychische Belastungserfahrungen hin, in denen die Selbstwirksamkeit und Handlungsmöglichkeit extrem eingeschränkt sind. Was jetzt hilft ist: abzuwarten, Geduld zu haben und alles das zu unterlassen, was unter anderen Bedingungen Trost und Entlastung verspochen hat: in Kontakt mit anderen Menschen zu treten, sich in die Arme zu nehmen und sich unverhüllt an zu schauen. Nichts tun ist das Gebot der Stunde. So legt es uns eine Videobotschaft der Bundesregierung nahe. Der Rückzug aus der Normalität und das Vermeiden körperlicher Berührung sind das Thema meines Bilderzyklus. Die der Not geschuldete Isolation zwingt die Menschen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. In einen geometrisch geordneten, abstrakten Hintergrund sind weiße Flächen eingesprengt, in denen sich Personen als schwarze Schemen aufhalten. Diese stilisierten Personen gestikulieren und nehmen Körperhaltungen ein, als würden sie mit sich selbst argumentieren oder Gymnastik betreiben. Sie scheinen auf sich selbst bezogen, fordern zugleich die Aufmerksamkeit des Zuschauers heraus. Was ist mit der Person los, wie geht es ihr? Manchmal weist eine Geste auf eine bestimmte Stimmung hin, an anderer Stelle ist die Figur nur Platzhalter für Isolation. Auch wenn sich mehrere Figuren in einer der weißen Flächen aufhalten, bleiben sie in ihrem Hausstand, berührungslos zu anderen. Die auf schwarz-weiß reduzierte Situation der Menschen, die fehlende Farbigkeit signalisiert das Fehlen einer Erfahrungsqualität: Der Sinn des Spürens, Tastens und Fühlens der Haut, die wärmende Berührung, die affektive Ladung der Auseinandersetzung. Die Haut als Kontaktorgan ist außer Funktion gesetzt, die Erfahrung, in den Armen des Anderen Geborgenheit zu finden oder die Erfahrung, dass einem jemand zu nahekommt, den man nicht riechen mag, verblasst. Das Sensorium für Zu- oder Abneigung scheint stillgelegt. In den Bildern wird das „auratische“ Umfeld der Menschen auf weiße Flächen reduziert. Die Begegnung auf Distanz wird nüchterner. Drumherum herrscht eine farblich harmonische Ordnung mit Anklängen an architektonische Konstruktionen. Die Hintergrundsflächen schließen die Personenfelder ein und platzieren sie im Raum. Die Isolationsfelder sind eingebunden in die Ordnung der Umgebung. Man ist zwar isoliert, muss aber keine Sorge um seinen sozialen Status haben. In anderen Bildern der Serie sind die Hintergrundsflächen in einander verschoben, zum Teil stürzen sie ineinander und gefährden den Raum der Eingeschlossenen. Die Bilder entstenden im Laufe des Jahres 2020. Sie sind auch Tagebuchnotizen zu meiner eigenen Befindlichkeit in der Corona Pandemie. Um so länger die Pandemie unser Leben beherrscht und die Infektionszahlen sich mit realen Schicksalen meiner Umgebung verbinden, umso wichtiger wird es mir die empfundene Bedrohung und Enge aus mir heraus zu setzen, sie sichtbar zu machen und ihr damit eine eigene Handlungsoption entgegen zu stellen. Die Bilder verweisen wie selbstverständlich auf die Verletzlichkeit von uns Menschen hin und mahnen Nachdenklichkeit gegenüber der geltenden Machbarkeitsvorstellungen und der Dynamik ständiger Reichweitenvergrößerung von Macht und Ökonomie an. Mit etwas Pathos ausgedrückt: Unsere die Zukunft liegt nicht in der Rückkehr zur Normalität und fortschreitenden Naturbeherrschung und Kontrolle, sondern im der Verantwortung und dem Respekt vor den Grenzen der Erde. Die die weißen Flächen stehen für Innehalten, für ein abwartendes, trotziges Innehalten und die Ahnung, dass die Rückkehr zur Normalität nicht einfach sein wird. Vielleicht erwächst aus der Erfahrung der Bedrohung ein bescheidener Blick auf die Zukunft.